Der Sperrriemen - Warum verwenden wir ihn?

Der Sperrriemen - Warum verwenden wir ihn?
Der Sperrriemen (fälschlicherweise oft auch Pullerriemen genannt) ist seit vielen Jahren fester Bestandteil an vielen Reithalftern, speziell im Klassischreitsport. Werden Reiter befragt, wieso sie einen Sperrriemen verwenden, dann kommen häufig Antworten wie: „Ich weiß es nicht.“, „Ich habe das Reithalfter mit bereits angebrachtem Sperrriemen gekauft.“, „Das wurde bei uns schon immer so gemacht.“. Oder auch: „Mein Pferd streckt sonst die Zunge raus.“, „Mein Pferd geht ohne den Sperrriemen gegen das Gebiss.“ etc. Diese Antworten zeigen, dass eine große Unwissenheit herrscht. Wir von 4Hooves vertreten die Meinung, dass wir alles, was wir tun, oder auch nicht tun, immer eingehend hinterfragen sollten, um uns daraufhin eine eigene und unabhängige Meinung bilden zu können. Daher möchten wir den heutigen Artikel dem Thema Sperrriemen widmen. Denn gerade die Wahl unseres Equipments ist für das Wohlergehen und die Gesunderhaltung unserer Pferde besonders wichtig. Wir werden daher den Fragen auf den Grund gehen, wo der Sperrriemen seinen Ursprung hat, welchen Sinn und Zweck er erfüllt (hat), und welche Daseinsberechtigung er heute noch hat - oder vielleicht auch nicht hat.

Der Ursprung des Sperrriemens

Lange wurde angenommen, dass die Entstehungsgeschichte des Sperrriemens beim Militär im ersten Weltkrieg begann. Der Grund hierfür waren - so die weitverbreitete Meinung- unverhältnismäßig viele Unterkieferbrüche, die Pferde erlitten, weil sie beim Stürzen die Mäuler weit aufrissen hatten. Bisher gibt es zu dieser Annahme allerdings keine eindeutigen Belege oder historisches Bildmaterial. Man vermutet, dass zum Zwecke der Fixierung des Unterkiefers eher das Hannoversche Reithalfter entstand, nicht das englisch Kombinierte Reithalfter. Auch werden der Sperrriemen und der Pullerriemen häufig verwechselt. Letzterer wird vom Nasenrücken aus durch die Gebissringe und wieder zurück geführt, ohne um den Unterkiefer des Pferdes gelegt zu werden und soll den entstehenden Druck bei aufgenommenem Zügel besser auf den Nasenrücken umleiten, um so ein Gegendrücken (pullen) des Pferdes zu verhindern. Wann genau der uns heute bekannte Sperrriemen entstand, bleibt im Nebel der Geschichte verborgen. Das erste Bild einer Englisch Kombinierten Zäumung (gefunden von Holger Suel) entstand bei den Olympischen Spielen 1956 in Stockholm und zeigt den US-amerikanischen Springreiter Frank Chapot. Seither ist der Sperrriemen weit verbreitet. Doch warum? Warum nutzen wir ein Utensil, das es unseren Pferden verhindert, das Maul beim Reiten zu öffnen? Ist es wichtig, dass unsere Pferde ihr Maul beim Reiten öffnen können? Schauen wir uns dies einmal genauer an.

Die Wirkung des Sperrriemens

Die richtige Verschnallung des Sperrriemens ist von essentieller Bedeutung. Daher hat die FN in der LPO die 2-Finger-Regel festgelegt. Diese besagt, dass zwischen Nasenrücken des Pferdes und dem Nasenband sowie dem Sperrriemen zwei Finger Platz haben müssen. Dies bezieht sich übrigens auch auf das Pendant im Westernreitsport, den Mouth Closer. In der Schweiz wird dies noch etwas genauer mit „einem Abstand von 1,5cm“ vorgeschrieben. Denn je nachdem wie eng der Sperrriemen verschnallt wird, macht er es den Pferden teilweise unmöglich das Maul zu öffnen. Dies ist jedoch aus den folgenden Gründen wichtig: Pferde produzieren, wie auch wir Menschen, Speichel, der immer wieder abgeschluckt werden muss. Trägt das Pferd ein Gebiss im Maul, wie es beim Reiten meist der Fall ist, wirkt das Trensengebiss, bei Kontakt mit der Reiterhand, Druck auf den Gaumen aus. Je stärker der Druck der Reiterhand und somit des Gebisses, desto stärker wird der Druck auf den Gaumen. Am Gaumen sitzen Nervenrezeptoren, die den Schluckreflex unterbinden und den Deckel des Kehlkopfes blockieren. Um diesen Druck des Gebisses auf den Gaumen zu verringern, muss das Pferd sein Maul leicht öffnen. Ein Sperrriemen verhindert dies. Folglich sammelt sich der Speichel des Pferdes im Maul und es kommt zum sogenannten „Einspeicheln“. Dabei bildet sich Flüssigkeit vorm Pferdemaul, die sich bis zu Schaum entwickeln kann. Oft wird angenommen, dies sei ein Zeichen dafür, dass das Pferd korrekt arbeitet oder korrekt “durch das Genick” geht. In erster Linie ist dies jedoch ein Zeichen dafür, dass das Pferd seinen Speichel nicht abschluckt bzw. nicht abschlucken kann. [caption id="attachment_131210" align="alignnone" width="530"]Pferd mit Zaum Pferd mit Zaum | Quelle: Canva[/caption]

Selbsttest:

Um besser nachvollziehen und verstehen zu können, wie es sich für unsere Pferde anfühlen muss, ihren Speichel nicht abschlucken zu können, bietet sich dieser kleine Selbsttest an: Nimm hierzu einen Löffel und drücke ihn an deinen Gaumen. Was passiert? Du wirst wahrscheinlich feststellen, dass du nicht mehr schlucken kannst. Der Grund ist der gleiche wie bei unseren Pferde: Bei Druck auf den Gaumen unterbinden die dort sitzenden Nervenrezeptoren den Schluckreflex und und blockieren den Deckel zum Kehlkopf. Ggf. tritt bei Dir sogar noch ein Würgreflex ein. Dieser ist bei Pferden allerdings nicht vorhanden, wodurch sie sich nicht übergeben können, sondern es stattdessen häufig zu Koliken kommt. Eine weitere Folge, die damit einhergeht, wenn das Pferd seinen Speichel nicht abschlucken kann, ist folgende: Der Speichel transportiert nicht nur den im Maul zerkauten Nahrungsbrei in den Magen, sondern stellt auch eine natürliche Schutzfunktion für die Magenschleimhaut dar. Er enthält wichtige Mineralien - vor allem Natriumbikarbonat - die als chemischer “Puffer” die Übersäuerung des Magens verhindern. Fehlt nun dieser Säurepuffer, kommt es schnell zu einer Magenübersäuerung. Ist die Magenschleimhaut z. B. durch Stress an manchen Stellen dünner als normalerweise, führt eine Übersäuerung des Mageninhaltes an diesen Stellen dann schnell zu einem Magengeschwür. Da Magensäure fast reine Salzsäure ist, kann diese die “Schutzhülle” der Magenwände an dünnen Stellen einfach wegfressen. Dies führt natürlich zum Unwohlsein des Pferdes und sollte sehr ernst genommen werden. Eine Magenerkrankung des Pferdes kann dazu führen, dass das Pferd permanent durch Anspannung der Muskulatur versucht den schmerzenden Magen zu beruhigen, was natürlich beim Reiten „Unrittigkeit“ hervorrufen kann.

Side fact:

Übrigens leiden etwa die Hälfte aller Pferde im Freizeitsport und sogar 80% der Pferde im Leistungs- und Hochleistungssport an Magenproblemen. Welche Ursache bei jedem Pferd individuell zugrunde liegt, muss von Fall zu Fall untersucht werden. Hierzu können keine Pauschalaussagen getroffen werden. Neben der Verhinderung des Abschluckens, schränkt der Sperrriemen das Pferd zudem beim Kauen ein. Eine Bewegung, die das Pferd braucht, um sein Kiefergelenk zu lockern. Verspannt sich das Kiefergelenk, können sich diese Verspannungen bis in den Rücken ausweiten, da die Muskeln durch Muskelketten miteinander verbunden sind. Dies kann für das Pferd sehr schmerzhaft werden. Zudem sind lockere Muskeln eine wichtige Grundvoraussetzung für die Gesunderhaltung unserer Pferde. Ebenso kann es zu Nervenstörungen kommen, wenn der Sperrriemen auf die empfindlichen Nervenbahnen am Kopf des Pferdes drückt. Starker und konstanter Druck ist hier oft eine Ursache für Schmerzen.

Positive Wirkung des Sperrriemens?

Doch gibt es auch Gründe, die für die Nutzung eines Sperrriemens sprechen? Das Hauptargument von Befürwortern des Sperrriemens ist, dass dieser den Druck auf den Unterkiefer reduziert. Reiten wir mit konstantem Zügelkontakt, und das beginnt schon bei leichtem Kontakt, üben wir konstanten Druck auf das Pferdemaul und den Unterkiefer aus. Wir ziehen also konstant am Pferdemaul und am Unterkiefer. Um zu verhindern, dass durch den Zug der Unterkiefer einfach aufklappt, muss das Pferd diesen stets aktiv mit seinen Kiefermuskeln geschlossen halten. Das Nasenband einschließlich des Sperrriemens soll stattdessen diese Aufgabe übernehmen, damit das Pferd seine Kiefermuskeln entspannen kann. So ermöglicht es dem Reiter mit konstantem Zügeldruck zu reiten, ohne dass das Pferd sein Maul aktiv geschlossen halten muss. Ein weiteres Argument ist, dass die Chancen auf dem Turnier beim Reiten mit Sperrriemen besser zu sein scheinen bzw. Reiter ohne Sperrriemen kaum Chancen zu haben scheinen, ohne Sperrriemen weiterzukommen - speziell in Dressurprüfungen.

Hat der Sperrriemen heute noch eine Daseinsberechtigung?

Wir sind überzeugt davon, dass wir alle das Beste für unsere Pferde wollen und nach bestem Wissen und Gewissen für sie entscheiden möchten. Wir wollen eine Partnerschaft mit unseren Pferden und diese - wie auch zwischen uns Menschen - beruht auf Kommunikation. Und unsere Pferde kommunizieren ununterbrochen mit uns. Manchmal sind die Zeichen sehr deutlich, manchmal müssen wir sehr genau hinschauen, um sie zu erkennen. Ist unser Pferd glücklich, entspannt und zufrieden, dann wird es uns dies auch zeigen: durch einen entspannten Gesichtsausdruck und einen entspannten Körper. Fühlt es hingegen Unwohlsein oder hat echte Schmerzen, wird es uns auch dies zeigen. Oft deuten wir diese Signale jedoch als schlechtes Benehmen, Sturheit oder sogar Berechnung. Doch Pferde handeln immer aus dem Moment heraus. Ist dort ein Schmerz, werden sie eine Abwehrreaktion zeigen. Und dies kann sich eben auch dadurch äußern, dass die Pferde gegen das Gebiss gehen, die Zunge rausstrecken etc. Wir dürfen uns also selbst fragen, ob wir gewillt sind, unseren Pferden zuzuhören. Ob wir gewillt sind die Zeichen zu sehen und sie zu deuten. Ob wir gewillt sind auch die Abwehrreaktionen unserer Pferde als ihre Stimme anzuerkennen. Und ob wir gewillt sind, nach der Ursache des Problems zu forschen, anstatt das Problem zu unterdrücken. Am Ende liegt die Entscheidung bei jedem einzelnen von uns und ist von der Pferd-Reiter-Kombination abhängig: Reiten wir mit Sperrriemen oder ohne?

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